nmz – neue musikzeitung, Regensburg 10/2015

Die einstündige Multimedia-Performance „Sexo Puro“ von Maria de Alvear wurde bei der Uraufführung 1998 in Donaueschingen mit Buhrufen quittiert. Was verständlich ist, ersetzt die Komponistin doch den szenenkonformen Materialdiskurs durch das Zelebrieren eines magisch-beschwörenden Klangs, in dessen weich ineinanderfließenden Linien sich der Klang von drei weiblichen Stimmen mit Blechbläsern und Schlagzeug farbenreich mischt. Das sanft-eindringliche Wogen suggeriert archetypische Vorstellungen vom Weiblichen als Quelle allen Lebens. Mit den Dia-Projektionen und dem inszenierten Klangraum wäre eine Videoaufzeichnung wohl die ideale Dokumentationsform gewesen. Die starken emotionalen Wellen des eigenwilligen Kollektivgesangs teilen sich aber auch bildlos mit.
 

Kölner Stadt-Anzeiger, Köln, 14.12.2011

„Instrumente aus Eimern und Schrauben“,
Konzerte zu Mauricio Kagels 80. Geburtstag in der Kunststation St. Peter,  von Rainer Nonnenmann

... Maria de Alvear verarbeitet in „Rethinking 4/4‘ Marschmusik aus Jugend, Folklore, Film und Fernsehen, um damit Kagels ironischen „Märschen, um den Sieg zu verfehlen" zu huldigen.

FAZ, Frankfurt, 3.05.2011

„Finger weg vom Verstehen“, Elisabeth Risch über die Frühjahrstagung am Institut für Neue Musik Darmstadt:
... Ein Höhepunkt der Tagung war die Uraufführung von „Im Kern‘ von Maria de Alvear. Im Vorgespräch hatte die Komponistin vor allem ihre eigene Unsicherheit artikuliert, dem Trío Arbós ein würdiges Stück auf den Leib zu schreiben, während sie sich mit dem Umgang mit Streichinstrumenten nicht genügend vertraut fühlte, um ihrem eigenen Anspruch an die Spielgestik gerecht zu werden. Im Konzert teilte man ihre enorme Spannung und die der mit dem Werk de Alvears bisher nicht vertrauten Musiker. Man staunte, wie die Konponistin es geleistet hatte, Klavier (Juan Carlos Garvayo), Violine (Miguel Borrego) und Violoncello (José Miguel Gómez) zu einer Einheit zu verbinden, mit welcher Intensität junge Musiker zu Werke gingen und wie Komponistin dieser „Zeit
der Lähmung und der Ratlosigkeit“ (Volker Staub) etwas abgerungen hatte das guttut ...
 

VivaVoce - Frau und Musik, Frankfurt, 83/2009

„Alptraum mit Esprit“, Uraufführung der Opernereignisstudie „Colorful Penis" von Maria de Alvear in Hellerau, von Rebecca Berg

... Ein wahrlich einmaliges Werk, das Maria de Alvear mit „Colorful Penis" geschaffen hat, und das seinen Titel der Opern-Ereignis-Studie zurecht trägt. Wobei sich das Publikum bei der Uraufführung in Hellerau am ehesten von den Ereignissen beeindrucken ließ... Dass man als Zuschauerin mittendrin im Geschehen saß, war bestimmt nicht alltäglich und verführte zur Teilhabe an einer phantasievollen Entdeckungstour, bei der es zum Schluss niemanden mehr auf den Stühlen hielt. Musikalisch auf den ersten Blick einfach und manchmal etwas eintönig - im eigentlichen Sinne des Wortes - wirkend, schuf gerade diese repetitive Motivik die nötige Atmosphäre zum fabulösen Geschehen in der Mitte... Nach der Vorstellung war ein jeder überrascht, wie schnell die Zeit voranschritt und wie überzeugend und lebendig Neue Musik
doch sein kann...

Opernwelt - Berlin, 12.12.2008

„Colourful Penis“, Uraufführung, Opernereignisstudie, Festspielhaus Dresden Hellerau, 22.Tage der zeitgenössischen Musik, Di. 30.10. 2008 von Jörg Königsdorf

Mit ihrer Ansicht über die wahren Antriebsgründe menschlicher Entscheidungen hält Maria de Alvear nicht hinterm Berg: Ist schon der Titel ihrer neuen Kammeroper „Colourful Penis”  einigermaßen explizit, wird die Spanierin im Beiheft der Uraufführung bei den Dresdner Tagen für zeitgenössische Musik noch deutlicher: Die Sexualität, schreibt sie, sei der mehr oder weniger bewusste Anknüpfungspunkt zwischen der linearen Gedankenwelt und dem im Jetzt lebenden Körper - sprich: die Schaltstelle, die Empfindungen und Gefühle in Entschlüsse umwandelt. Und um nichts anderes als solch einen Entschlussaugenblick geht es in Alvears knapp einstündiger "Opernereignisstudie": Ein Soldat trifft im Wald auf eine Bärin und legt sein Gewehr an. Wird er das Tier erschießen? Eine Sekundenentscheidung, die Alvear virtuos von der Vertikalen auf die horizontale Zeitachse eines musikdramatischen Handlungsverlaufs spiegelt: All die Ahnungen, Erinnerungen und erotischen Assoziationen, die in Wirklichkeit gleichzeitig auf verschiedenen Bewusstseinsebenen aktiviert werden, fügt sie als Episoden locker aneinander, lässt die wunderlichen Gestalten des Unterbewusstseins mal ganz konkret, mal nur schemenhaft Gestalt annehmen. Wie ein spukhafter Reigen tanzen kauzige Wichte, lasziv herausgeputzte Frauen um den Soldaten (mit schmerzensreichem Bassbariton: Romain Bischoff), ballen sich zu orgiastisch verschlungenen Fleischhaufen, lösen sich im helltönenden Nichts hochfrequenter Klangsignale ä la Stockhausen auf, bis die sanft pulsierenden Rhythmen, die diese Hirnkammer-Revue zusammenhalten, schließlich an Dringlichkeit gewinnen und die Entscheidung herbeizwingen. Dass hier von einem eigentlichen Handlungsfaden keine Rede sein kann, stört nicht. Ganz im Gegenteil: Angesichts der Unzahl an Literatur- und Geschichtsstoffen zeitgenössischer Opern, bei denen die Musik allzu oft zur Illustration verkommt, wirkt Alvears Stück wie eine erfrischende Erinnerung daran, dass Musik auf dem Theater auch ganz andere Freiräume eröffnen kann: Ihre Stärke liegt eben darin, die Komplexität der menschlichen Psyche fühlbar zu machen, statt platte Ursache-Wirkungsketten aufzubauen. Auch der Sex, um den es der Spanierin geht, tritt nicht als szenische Pornografie, sondern als reine Klangsinnlichkeit in Erscheinung: Ungemein farbenreich setzt sie das sechsköpfige Instrumentalensemble KlangArt Berlin und die Darsteller des ausgezeichneten niederländischen Ensembles VocaalLAB ein, umspielt die kantablen Gesangslinien immer wieder mit verführerischem Diskantgeglitzer und raunenden Tönen von Hörn und Tuba, webt eine dichte Partitur, als ob sich hinter den sichtbaren Episoden noch eine unendliche Vielzahl anderer, kaum merklicher Beweggründe verbergen würde. Ein faszinierendes Stück, das im Festspielhaus Hellerau auch szenisch eine maßstäbliche Umsetzung findet: Hunderte loser, zerfaserter Tauenden lassen Anna Malunat (Regie) und Jan Kattein (Bühne) von der Decke des Saals auf die locker im Raum verteilten Zuschauer und Akteure herunterhängen. Nur in der Mitte verknäulen sie sich um den Soldaten, der kokonartig eingesponnen am Boden liegt. Sind es Lianen oder Nerven? Ist dieser Raum ein Wald oder ein Hirn? In jedem Fall schafft er eine Umgebung, die wunderbar zur Vieldeutigkeit dieses Spiels über Sinn und Sinnlichkeit passt. Parallel zur fortschreitenden Selbsterkenntnis wird sich das Dickicht langsam lichten, bis volle Klarheit herrscht. Man will nur hoffen, dass der Sex nicht drunter leidet.
 

Mehrlicht, Musik Kultur Dresden, Dresden, 2.10.2008

„Im Schnurwald: Schießen oder nicht?“ Maria de Alvears wundersame Naturoper „Colourful Penis" eröffnet die Tage der zeitgenössischen Musik.

... Nach dieser Naturoper in einem Traum-Raum ist man nach einer guten Stunde seltsam beglückt und überrascht, wie stimmig und überzeugend eine Musiktheateruraufführung sein kann, wenn sie so aufrichtig, humorvoll und hochprofessionell daherkommt, wie "Colourful Penis". Die "Tage der zeitgenössischen Musik" haben einen phantasievollen Auftakt gefunden und anlässlich der Thematik "Musik und Film" darf es gerne die ganze Woche so weitergehen...

Kölner Stadtanzeiger, Köln, 3.05.2007

„Auf Klang folgt Stille“ von Rainer Nonnenmann
... Den Eindruck des Verklingens als Symbol der Vanitas, der Vergänglichkeit, unterstreichen Zeit- und Vergänglichkeitsmotive in von Maria de Alvear vorgetragenen Texten sowie in den Live-Video-Manipulationen von Luis Negron und Juan Orozco. In zwei Guckkästen, die von der einen Seite durch Milchpapier beleuchtet, von der anderen Seite mit Videokameras per Beamer auf drei Leinwände projiziert werden, zaubern die beiden ein vielschichtiges Bewegungs-, Licht- und Schattentheater mit eingeschobenen Farb- und Bildfolien, anatomischen Zeichnungen, Skeletten, Totenschädeln, realen Figuren, Handschattenspielen und computeranimierten Zahlen- und Buchstabenreigen. Eine poetische Mischung aus digitaler High- und manueller Low-Technologie in der Art der im 19. Jahrhundert beliebten Laterna Magica.

Aachener Zeitung, Aachen, 18.2.2007

„Unglaublich fein gewirkte Klanggewebe von zerbrechlicher Poesie“ von Christoph Hahn
... die „Sensitive birds”, ein 2006 von der in Köln lebenden spanischen Komponistin Maria de Alvear gleichfalls für die Aachener (Neue Musik Ensemble Aachen) maßgeschneidert, ist von zerbrechlicher Poesie - nicht nur, weil hier Catherine Marquets feine Stimme mit so voluminös tönenden Instrumenten wie Bassklarinette und -flöte zusammentraf. Denn de Alvears Tonsprache ist eine minimalistische und erfordert von allen Interpreten ständige Wachheit für diese unglaublich fein gewirkten Klanggewebe, die mitunter dahinwehen wie ein Nebel im Wind. Sauber und lebendig setzten die Sängerin und ihre Künstler-Kollegen de Alvears von Vogel-Stimmen und anderen naturhaften Elementen angeregte Mikrokosmen um, ein Werk, in dem der Gesang nicht gegen das Instrumentale steht, sondern ihn als autonomes Element zu etwas Ganzem werden lässt.

Neue Musikzeitung, Regensburg, 06.2003

„Anregen, wachsen sehen und verantworten“, ein Interview mit dem Deutschlandfunk-Redakteur Frank Kämpfer anlässlich des Festivals „Forum neuer Musik“ vom 14. bis 16. März 2003
... Was die Ausgabe 2003 des Forums neuer Musik anlangt, schien mir die Latte mit den beiden Aufträgen an Maria de Alvear und Juliane Klein erfreulich hoch gehängt zu sein. Also da gab es mit „Flores“ zunächst einen nach außen gekehrten Blütentraum von Maria de Alvear, ein von ihr sogenanntes „Ereignis“ für zwei Frauenstimmen, Solotrompete, Ensemble, Elektronik einschießlich Videoinstallation…

Kämpfer: Das war in diesem Jahr eine große Herausforderung für uns. Obwohl der Deutschlandfunk wahrlich kein Veranstaltungszentrum für experimentelle Kunst sind, muss ich meinen Kollegen von der Technik ein besonderes Kompliment machen. Das Zusammenspiel von Live-Musik, Elektroakustik und Videoprojektion hat perfekt und zur Zufriedenheit der Komponistin funktioniert ...

Was sind Ihre Kriterien und Überlegungen?

Kämpfer: Maria de Alvear und Juliane Klein, Katia Tchemberdji und Jacob ter Veldhuis sind Leute, die alle etwas Eigenständiges versuchen und trotzdem von den großen Festivals eher gemieden werden. Die haben wir zusammengeführt, um das Verschiedenartige heutigen Komponierens zu betonen. Ein zweiter Aspekt resultiert aus den zwei großen Auftragswerken, die ich mit dem Anspruch umschreiben möchte, existenziellere Fragen behandeln zu lassen. Maria de Alvear natürlich in einer spirituelleren Weise als Juliane Klein, die den großen Bekenntnispsalm eher von außerhalb des zu behandelnden Glaubens anging. Und drittens – ich möchte natürlich auch ein wenig wider den Stachel des Traditionellen locken ...

Kölner Stadtanzeiger, Köln, 20.03.2003

„Weg von Schule und Stil“ von Gisela Gronemeyer
Komponistinnen standen im Mittelpunkt des diesjährigen „Forums neuer Musik“ im Deutschlandfunk...  ...(Zum Beispiel die Arbeit) der deutsch-spanischen Komponistin Maria de Alvear, die seit ihrem Studium in der Musiktheaterklasse von Mauricio Kagel in Köln lebt. Nach ihrem ersten Deutschlandfunk-Konzert vor elf Jahren präsentierte sie nun ein neues abendfüllendes Werk, dessen Titel „Flores“ durch ein Blütenmeer auf Videoleinwänden visualisiert wurde. Das Besondere an ihrem Komponieren ist, dass sie ihre Stücke in einem tranceähnlichen Zustand aufschreibt, in diesem Fall für sieben Interpreten des nordrhein-westfälischen Ensembles „MusikFabrik“.

Kölner Stadt-Anzeiger, Köln, 29./30.01.2000

„Schillernder Tropfen im Sturzflug” - Musikfabrik präsentiert Werke zeitgenössischer Komponistinnen

... „Die wahre Welt” beseelter Natur hält Maria de Alvear der Gesellschaft und ihren Errungenschaften entgegen. Die Uraufführung ihres Stücks „Gota - dieser eine Gletschertropfen‘, ... überraschte und betörte zugleich: ... lange noch im Ohr. Helle Freude des Publikums. (E.H.)

Kölner Stadt-Anzeiger, Köln, 11.11.1999

„Schmelzender Schnee” Konzert zu 10 Jahre Mauerfall von Hans Elmar Bach
... der Spanierin Maria de Alvear tatkräftig und einsatzfreudig ... ... Mit Temperament und südländischer Hitzigkeit rückt Maria de Alvear in „Land”  ihrer Aufgabe zu Leibe. Eine Videoinstallation von heiler Landschaft, in der Adler und Wolf sich frei bewegen, aber auch die sinnige Massage zur Entfernung von Landkarten-Tätowierungen coram publico, die sich die Künstlerin auf Rücken und Oberschenkel hatte auftragen lassen, macht auf die Aberwitzigkeit von Grenzbeziehungen aufmerksam. Das Instrumentarium zieht dabei weniger die Konzentration auf sich als die beiden explosiv deklamierenden Rapper, die zwanzig Minuten lang Parolen in Mikrofon hämmern und lautstark eine bessere Welt aus dem Boden stampfen möchten: „Macht die Erde und das Leben zum Garten Eden ...” Aber auch die Einstellung „Es ist nicht leicht, Deutscher zu sein” - die Spanierin muss es ja wissen - gehört zu den vehement eingetrichterten Sentenzen. Der Applaus war so vorhersehbar wie berechtigt... .

Kölner Rundschau, Köln, 10.11.1999

„Hände massieren Grenzen weg”, Komponisten über "10 Jahre Mauerfall" von Raoul Mörchen
... Maria de Alvears Musik, wuchtig, geballt, stetig pulsierend, mal gleichmäßig, mal fließend, ... ... Offenheit für anderes und Respekt vor der Natur - alte Schlagworte, hier neu und hoffnungsvoll belebt aus aktuellem Anlass. ...

TV-Today, Hamburg, Nr. 25, 4.12.1999

„Sexo puro“ - Die Komponistin Maria de Alvear
„Gestattet mir, eure Lebensgeister zu wecken” ist das Motto der 1960 in Madrid geborenen spanischen Musikerin Maria de Alvear. ...

Rheinische Post, Düsseldorf, 9.03.1999 „Musik, die für Freiheit plädiert”

... Herzlicher Beifall für das Werk, das in seiner Mischung aus Kühle und Wärme faszinierte Anziehungskraft entwickelte und gleichzeitig auf Distanz hielt. ... ... sie provozierte geradezu, aber auf sympathische Art, eine lebhafte Kommunikation zwischen sich und dem Publikum. ... wurde nachvollziehbar, dass die Musik für de Alvear nicht Selbstzweck ist, sondern Erkenntnismittel und Medium, das Kommunikation anregen soll. ...


Die Zeit, Hamburg, 22.10.1998

„Auf den Donaueschinger Musiktagen versöhnen sich die musikalischen Weltanschauungen“ von Claus Spahn

Die beiden ästhetischen Extrempunkte der Musiktage markierten zwei andere Figuren - der in Freiburg [h!p://www.zeit.de/thema/freiburg] lehrende Matthias Spahlinger und die spanische Komponistin und Performance-Künstlerin Maria de Alvear. Hier der scharf denkende, im Geist der Frankfurter Schule gegen alle kompositorische Konvention aufbegehrende Dialektiker, dem jede Form ungebrochener musikalischer Syntax per se suspekt ist, und dort eine unbekümmerte Esoterikfee, eine späte Nachfahrin der Hildegard von Bingen, die, bevor der erste Ton zu ihrer Performance Sexo Puro erklang, erst einmal eine Weihrauchschale in alle vier Himmelsrichtungen schwenkte, auf daß ihre mit Unterwasser-Videoprojektionen angereicherte musik alische Séance aus litaneihaftem weiblichen Beschwörungsgesang und leise vor sich hin bramarbasierenden Instrumenten gelinge ... ... All ihre (Anti-)Poesie bezieht diese Musik aus raffiniert splitternder Zersetzungsarbeit, während in Alvears Sexo Puro der Perkussionist lautmalerisch ein kuscheliges Dinkelkissen reibt ...


Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, 22.04.1998

„Frackhüpfen in E-Moll” von Hanno Ehrler

... Das hat sein Publikum, ebenso die Auftritte der weniger bekannten, in Köln lebenden Spanierin Maria de Alvear. Die Künstlerin hat sich mit indianischen Kulten und Schamanismus beschäftigt und bezieht diese Phänomene in ihre Kompositionen ein. Libertad das in der Darmstädter Stadtkirche aufgeführt wurde, ist ein anderthalbstündiger Gesangsdialog über verschiedene Texte zwischen Maria de Alvar und Enrique Lozano, gefärbt von Flamenco und arabischer Melismatik, auf einem Klangteppich aus zwei Klavieren, Posaune und Schlagzeug, dessen Binnenstruktur kunstvoll variiert wird. Mal hört man eher tiefere Klavierklänge oder mahnende Posaunentöne, dann glockenreines Klingen des Perkussionsapparates. Durch die Länge des Stücks ähnelte die Aufführung von „Libertad” einer scheinbar unendlichen Litanei, damit einer rituellen Handlung, die es wohl auch sein sollte.

Kölner Stadt-Anzeiger, Köln, 7./8.03.1998

„Der Enkel neuer Töne” von Stefan Rütter

... Aus dieser Schule ging auch die Deutsch-Spanierin Maria de Alvear hervor, deren äußerst vielschichtiges Werk neben musikalischen Arbeiten auch Installationen, Video-Kunst und sozialökologische Aktionen nach dem Vorbild von Joseph Beuys” "erweitertem Kunstbegriff" umfasst. In ihrem Werk spielt die Schmerzmetapher eine besonders große Rolle. "Unsere Kultur" so bemerkt sie, "ist die Schmerzkultur überhaupt. Die Menschen leiden entsetzlich. Sie versuchen, den Schmerz zu ignorieren und merken nicht, dass sie sich damit in einen ganz anderen Schmerz hineinkatapultieren. "Sie hat daher "bewusst gesunde Gesellschaften gesucht, um einen Vergleich zu haben." Bei den Indianern, mit denen sie einen Teil des Jahres verbringt, erlebt sie eine Art der Beschütztheit des einzelnen durch die Gemeinschaft, die auch zum Prinzip ihrer künstlerischen Arbeit wurde. Das geht bis in die Aufführungssituation hinein, wenn sie Schutzwälle aus verschiedenen Materialien bildet, die den Musikern, dem Publikum, selbst noch dem Kritiker einen "offenen Raum" schaffen, innerhalb dessen Freiheit und Selbstentfaltung erst möglich werden. "Menschen, die sich mit Kunst auseinandersetzen", so Maria de Alvear, "brauchen sehr viel mehr Schutz, weil sie offener sind." Für ihre eigene Kunst gilt das in besonderer Weise: Sie berührt Themen, die heikel, wenn nicht gar tabu sind - vor allem in den "furchtbar prüden" Zirkeln der Neuen Musik. Bei Maria de Alvear geht es immer ums Große und Ganze, um Welt und Natur, um Leben und Tod, um Liebe und Schmerz. „World“, „Sexo“, „Vagina „- so lauten die Titel ihrer ausladenden, magischen, raumgreifenden Kompositionen. "Ich bin irgendwann aus der Gesellschaft ausgestiegen und in die Realität rein. Die Menschen verstehen nicht, dass Realität unabhängig ist von Zivilisation . Der Erde ist es völlig schnuppe, ob Menschen, Tiere und Pflanzen zugrunde gehen - der Planet und das Lebensprinzip bestehen immer weiter." Es ist auch die Arroganz einer tausendjähringen abendländischen Musikkultur, der Maria de Alvear ihre Absage erteilt. Die Übernahme tradierter Formen und Strukturen macht sie ebenso verantwortlich für den Akademismus in der Neuen Musik wie für jene verhängnisvollen "Kitsch-Nischen" in die sich viele Komponisten zurückziehen. Beides ist die Folge einer existentiellen Angst: "Es gibt sehr viele Künstler, die sich mit Kunst zupanzern. Das emotionale Chaos wird hinter einem intellektuellen Gerüst versteckt." Für Maria de Alvear setzt künstlerische Arbeit eine gründliche Selbstreinigung voraus, das gilt auch für die Interpreten: "Man muss immer wieder den trüben Matsch aus dem Wasserglas spülen, damit die persönliche, die individuelle Geschichte nicht auf die Musik aufgestülpt wird. Der emotionale Körper muss sauber sein. Wer seine Emotionen in die Musik projiziert, bekommt ganz große Schwierigkeiten." Maria de Alvear lässt sich ihre künstlerischen Mittel nicht vom "guten Geschmack" diktieren. Beim "Romanischen Sommer" 1992 legte sie für eine Aufführung ihres Werkes „Raices 4“ einen frisch geschlachteten Hirsch auf den Altarstufen von St. Peter nieder. Die Entrüstung war beträchtlich: "Hirsch für Show getötet", titelte die Boulevardpresse. Zwei Jahre lang widmete sich die Justiz der Frage, ob man ein Wirbeltier statt zu kulinarischen auch zu künstlerischen Zwecken ins Jenseits befördern dürfe. Begreiflicherweise kam bei diesem Prozess nicht viel heraus - aber doch zumindest die Erkenntnis, dass die brutale Wahrheit des Schlachtens längst hinter der tröstlichen Fiktion appetitlich verpackter Tiefkühlkost verschwunden ist... ... Die beiden ältesten, Maria de Alvear und Manos Tsangaris, sind zugleich auch die arriviertesten ...

Westdeutsche Zeitung, Wuppertal, 12.06.1997

„Sonne weinte auf Sand und Salz’ von Astrid Opitz

... Gleichsam faszinierend war die Intensität, mit der sie agierte, stimmlich als auch mimisch und gestisch, und mit der sie den Raum erfüllte. ... Die Performance im Rahmen der Ensemblia baut auf ihren Erfahrungen mit Menschen auf, die unter primitivsten Bedingungen in der sibirischen Tundra leben. ...

Basler Zeitung Basel, 02.05.1995 Von Martina Wohlthat

... Maria de Alvear ist eine starke Frau, die ihr Anliegen als Performerin ohne viel Umstände mit suggestiver Sprachgestik an die Frau (den Mann?) im Publikum brachte. ... Hell und Dunkel, Freiheit und Zwang sind der Musik von Sexo mit entwaffnender Direktheit eingeschrieben... . Über alle Zweifel erhaben war dagegen die konzentrierte Orchesterarbeit der "basel sinfonietta" unter dem vorzüglich koordinierenden Dirigenten Robert H.P. Platz. Die Bläser meisterten virtuos auch die extremen Lagen. Die Übergänge zwischen freiem und gebundenem Spiel vollzogen sich organisch. Im Spannungsfeld von Disziplin und Intuition bewies das Orchester einmal mehr seine Rahmen sprengende Leistungsfähigkeit.

Berner Zeitung, Bern, 01.05.1995

"Grosse Klänge kommen wieder"

... „Sexo „ist die Wiederaufnahme einer Thematik, welche schon die Musik der letzten Jahrhundertwende beherrschte. Die Vorzeichen habe sich allerdings geändert: Während vor hundert Jahren das Thema der weiblichen Erotik und Sexualität als Männerphantasie in männlich strukturierte Konstruktionen hinein gezwungen wurde, zeigt das Werk von Maria de Alvear einen Weg der weiblichen Befreiung aus der Besetzung durch das andere Geschlecht auf... . als ein Aufbruch, als Aufarbeitung und Umwertung des Geschichtlichen, faszinierte die Novität ungemein.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, 29.03.1994

"Rein wie Erde oder Wasser" - das Ensemble Köln in der Nicolaikirche, von Detlef Gollasch

... Hier nämlich, bei der Aufführung der Komposition Purisimo wird unter der Leitung des Dirigenten Robert HP Platz den elf allesamt äußerst sensibel agierenden Instrumentalisten strenge persönliche Zurücknahme auferlegt. Kommunikative Interaktion mit Privatcharakter wird von der Komponistin schon im Ansatz unterbunden, als sollten sich die Klänge aus der Stille heraus gewissermaßen von selbst ihren jeweiligen Ort in der Partitur suchen. Diese Nicht-Expressivität hat aber im Werk der aus Madrid stammenden Maria de Alvear, die Klavier, Dirigieren und Neues Musiktheater bei Mauricio Kagel in Köln studierte, andere Konsequenzen als etwa in der Musik Morton Feldmans, auch wenn es in der unbeugsamen Haltung, die Töne dem Kontrollsystem der kompositorischen Gesetze, wo Regeln vor Kunst reagieren, zu entziehen, durchaus Parallelen gibt. Obwohl die gestrichenen, geblasenen, gezupften oder (auf der Celesta) angeschlagenen Klänge äußerst selten den unteren Bereich des dynamischen Spektrums verlassen, wirken die hinsichtlich der Tondauern irritierend ungerasterten Figurationen bei aller Zerbrechlichkeit urwüchsig, fast ungeformt. Eben darin liegt ihre charakteristische Eigenart. Elemente, die von ferne noch die Erinnerung an Melodien oder Bruchstücke von Tonleitern wachrufen könnten, haben in Purisimo keinen Platz. Insofern berührt Maria de Alvears eigene Interpretation des Titels ihrer eigenen Komposition tatsächlich einen zentralen Aspekt der Musik der 1960 geborenen Spanierin: Puro (rein) auch im Sinne von: der Natur angenähert - "rein wie Erde oder Wasser".